URSPRÜNGLICHE
REGEL
DES ORDENS
DER ALLERSELIGSTEN JUNGFRAU MARIA VOM BERGE KARMEL
gegeben vom Heilige
Albertus, Patriarchen von Jerusalem, und von Innozenz IV.
bestätigt.
- Albertus, durch Gottes Gnade zum
Patriarchen der Kirche von Jerusalem berufen, entbietet
seinen in Christus geliebten Söhnen, B. und den
übrigen, ihm im Gehorsam unterstellten Einsiedlern, die
um die Quelle am Berg Karmel wohnen, Gruß im Herrn und
den Segen des Heilige Geistes.
- Wohl haben die heiligen Väter oft
und mannigfach Anordnungen getroffen, auf welche Weise
einer - ganz gleich welchem Lebensstand er angehört oder
welche Art des Ordenslebens er erwählt hat - in der
Nachfolge Jesu Christi leben und Ihm treu, mit reinem
Herzen und gutem Gewissen dienen müsse. Da ihr jedoch
von Uns verlangt, daß Wir euch eine eurem Vorhaben
entsprechende Lebensordnung geben, die ihr in Zukunft
beobachten sollt,
- bestimmen Wir zuerst, daß ihr einen
aus euch als Prior habt, der durch einmütige Zustimmung
aller oder doch des größeren und verständigeren Teiles
zu diesem Amt gewählt werde. Ihm sollen die anderen
Gehorsam, ehelose Keuschheit und Armut versprechen und
sich bestreben, ihr Versprechen in der Tat zu erfüllen.
- Niederlassungen könnt ihr in den
Einöden haben, oder wo sonst man euch diese schenkt,
sofern sie nach dem Gutdünken des Priors und der Brüder
für die Beobachtung eurer Ordenssatzung tauglich und
geeignet sind.
- Außerdem soll entsprechend der Lage
der Niederlassung, die ihr euch zum Wohnsitz gewählt
habt, jeder eine von den anderen getrennte Zelle haben,
wie sie ihm auf Anordnung des Priors und mit Zustimmung
der übrigen Brüder oder des verständigeren Teiles
angewiesen wurde.
- Ihr sollt das, was euch zur Nahrung
gegeben wurde, miteinander im gemeinsamen Refektorium
genießen. Dabei hört, wo es leicht beobachtet werden
kann, zusammen eine Lesung aus der Heilige Schrift an!
- Keinem der Brüder sei es gestattet
- außer mit Zustimmung des jeweiligen Priors -, seine
Niederlassung zu wechseln oder mit einem anderen zu
tauschen. Die Zelle des Priors befinde sich nahe beim
Eingang der Niederlassung, damit er die Besucher als
erster empfangen kann, und dann alles andere nach seinem
Ermessen und seiner Anordnung geschehe.
- Jeder soll in seiner Zelle oder in
deren Nähe bleiben, Tag und Nacht im Gesetze des Herrn
betrachten und im Gebete wachen, wenn er nicht durch
anderweitige Beschäftigungen rechtmäßig in Anspruch
genommen wird.
- Wer die kanonischen Tagzeiten mit
den Klerikern zu beten versteht, soll sie nach der
Anordnung der heiligen Väter und der von der Kirche
gutgeheißenen Gewohnheit beten. Wer es aber nicht kann,
bete zur Matutin 25 Vaterunser. Eine Ausnahme bilden die
Sonn- und Feiertage, für die Wir die Verdoppelung dieser
Zahl anordnen, so daß also 50 Vaterunser zu beten sind.
Siebenmal soll dieses Gebet zu den Laudes verrichtet
werden. Für jede andere Tagzeit werde es ebenfalls
siebenmal gebetet, die Vesper ausgenommen, für die es
fünfzehnmal zu verrichten ist.
- Keiner der Brüder nenne etwas sein
eigen, es gehöre euch vielmehr alles gemeinsam. Das
Notwendige werde jedem durch die Hand des Priors oder
durch einen seinerseits damit beauftragten Bruder je nach
Alter und Bedürftigkeit zugeteilt.
- Wenn es die Notwendigkeit erfordert,
dürft ihr Esel oder Maultiere halten, ebenso einen
kleinen Bestand an Haustieren oder Geflügel.
- Ein Oratorium soll womöglich
inmitten der Zellen errichtet werden. Dort sollt ihr Tag
für Tag morgens zusammenkommen, um der Feier der
heiligen Messe beizuwohnen, wo es leicht geschehen kann.
- An Sonntagen oder, falls notwendig,
auch an anderen Tagen, möget ihr euch über die
Beobachtung eures Ordenslebens und euer geistliches
Wohlergehen besprechen. Bei dieser Gelegenheit ist es
auch am Platz, Übertreibungen und Fehler der Brüder,
wenn deren an einem wahrgenommen wurden, in schonender
Liebe zu korrigieren.
- Fasten sollt ihr vom Feste
Kreuzerhöhung bis zum Tag der Auferstehung des Herrn
alle Tage, die Sonntage ausgenommen, es sei denn, daß
Krankheit oder körperliche Schwäche oder ein anderer
rechtmäßiger Grund rät, vom Fasten zu entbinden. Not
kennt ja kein Gebot.
- Des Fleischgenusses sollt ihr euch
enthalten, außer er dient als Heilmittel bei Krankheit
oder körperlicher Schwäche. Da ihr aber, wenn ihr
unterwegs seid, betteln müßt, könnt ihr, um euren
Gastgebern nicht lästig zu fallen, außerhalb eurer
Häuser mit Fleisch gekochte Speisen essen; auf dem Meer
aber ist es erlaubt, auch Fleisch zu essen.
- Das menschliche Leben auf dieser
Welt ist eine Prüfung; will einer gottgefällig in
Christus leben, muß er Verfolgung leiden. Zudem geht
euer Widersacher, der Teufel, wie ein brüllender Löwe
umher und sucht, wen er verschlingen könne. Bemüht euch
darum mit aller Sorgfalt, die Waffenrüstung Gottes
anzulegen, damit ihr den Nachstellungen des Bösen
widerstehen könnt!
Umgürtet eure Lenden mit dem Gürtel der Keuschheit!
Wappnet eure Brust mit heiligen Gedanken! Steht doch
geschrieben: "Ein heiliger Gedanke wird dich
bewahren". Ziehet an den Panzer der Gerechtigkeit,
auf daß ihr den Herrn, euren Gott, aus ganzem Herzen,
aus ganzer Seele und aus allen Kräften liebt und euren
Nächsten wie euch selbst!
Zu all dem nehmt den Schild des Glaubens, mit dem ihr
alle feurigen Geschosse des Bösen auslöschen könnt!
Ohne Glauben ist es ja unmöglich, Gott zu gefallen.
Setzt den Helm des Heils auf euer Haupt und erhofft vom
Heiland, der Sein Volk von seinen Sünden erlöst, allein
das Heil! Das Schwert des Geistes aber, das Wort Gottes,
wohne überströmend in eurem Munde und in eurem Herzen,
und, was immer ihr zu tun habt, geschehe im Wort des
Herrn.
- Ihr sollt immer eine Arbeit
verrichten, damit euch der Teufel stets beschäftigt
finde und nicht infolge eures Müßigganges eine
Eintrittsmöglichkeit in eure Herzen auskundschafte. Der
heilige Paulus gibt euch in dieser Hinsicht Lehre und
Beispiel zugleich. Durch seinen Mund hat Christus
gesprochen. Er ist von Gott als Prediger und Lehrer der
Völker im Glauben und in der Wahrheit aufgestellt und
gegeben worden. Wenn ihr ihm nachfolgt, könnt ihr nicht
in die Irre gehen. "Wir sind unter euch
gewesen", spricht er, "und haben uns gemüht
und geplagt, Tag und Nacht haben wir gearbeitet, um
keinem von euch zur Last zu fallen. Nicht als hätten wir
keinen Anspruch auf Unterhalt; wir wollten euch aber ein
Beispiel geben, damit ihr uns nachahmen könnt. Denn als
wir bei euch waren, haben wir euch die Regel eingeprägt:
Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Wir
hören aber, daß einige von euch ein unordentliches
Leben führen und alles mögliche treiben, nur nicht
arbeiten. Wir ermahnen sie und gebieten ihnen im Namen
Jesu Christi, des Herrn, in Stille ihrer Arbeit
nachzugehen und ihr selbstverdientes Brot zu essen"
. Dieser Weg ist heilig und gut. Ihn sollt ihr gehen!
- Der Apostel empfiehlt also auch das
Schweigen, da er in der Stille zu arbeiten gebietet, wie
ja auch der Prophet bezeugt: Die Pflege der Gerechtigkeit
ist Stille. Ferner sagt er: "In der Stille und im
Vertrauen ruht eure Kraft". Deshalb ordnen Wir an,
Stillschweigen zu halten vom Schluß der Komplet bis zum
Ende der Prim des folgenden Tages. Mag auch in der
übrigen Zeit das Schweigen nicht so streng zu beobachten
sein - vor der Geschwätzigkeit gilt es sich sorgsam zu
hüten; denn wie geschrieben steht und nicht minder die
Erfahrung lehrt: "Beim Vielreden geht es nicht ohne
Sünde ab", und: "Wer im Reden unbedacht ist,
dem ergeht es übel", ebenso: "Wer viele Worte
macht, schadet seiner Seele". Der Herr selbst sagt
im Evangelium: "Die Menschen werden über jedes
unnütze Wort, das sie reden, am Tage des Gerichtes
Rechenschaft abzulegen haben". Darum lege jeder
seine Worte auf die Waage und zügle seinen Mund, damit
er nicht etwa strauchle, durch seine Zunge zu Fall komme
und sein Fall unheilbar und tödlich sei. Mit dem
Propheten bewache daher jeder seine Wege, damit er sich
mit der Zunge nicht vergehe. Er bemühe sich, das
Stillschweigen, in dem die Pflege der Gerechtigkeit
liegt, sorgfältig und gewissenhaft zu beobachten.
- Du aber, Bruder B., und wer immer
nach dir zum Prior bestellt wird, erwägt stets im Geiste
und übt in der Tat, was der Herr im Evangelium sagt:
"Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener
sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer
Sklave sein".
- Ihr übrigen Brüder aber, ehrt
euren Prior! Denkt dabei nicht so sehr an seine Person
als vielmehr an Christus, der ihn über euch gesetzt hat,
und an Sein Wort zu den Kirchenvorstehern: "Wer euch
hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt
mich ab", damit ihr nicht wegen Verachtung vor das
Gericht kommt, sondern wegen eures Gehorsams den Lohn
ewigen Lebens verdient.
- Das haben Wir euch in Kürze
geschrieben, um euch eine Ordnung für euer Leben zu
geben, nach der ihr leben sollt. Will aber einer noch
mehr tun, dann wird es ihm der Herr vergelten, wenn Er
wiederkommt. Er tue es aber mit kluger Mäßigung, denn
sie lenkt und leitet alle Tugend.