"Ich nehme es, wie Gott es fügt"

Der Sturm brach los. Am 11. Juli 1942 hatten die katholischen Bischöfe zusammen mit allen christlichen Kirchengemeinschaften in Holland ein Telegramm an General Christiansen nach Den Haag geschickt, in dem sie gegen die Judenverfolgung protestierten. Am Sonntag, dem 26. Juli, ließen die Bischöfe in allen holländischen Kirchen einen Hirtenbrief verlesen, der auch den Wortlaut des Protest-Telegramms enthielt. Die deutsche Besatzungsmacht versuchte, das Verlesen des Hirtenbriefes zu verhindern. Der Erzbischof von Utrecht, de Jong, wies diese Einmischung der weltlichen Instanzen zurück, und der Brief wurde verlesen. Daraufhin wurden die katholischen Juden als die gefährlichsten Gegner erklärt, die bald nach dem Osten deportiert werden müßten. Am 28. Juli, zwei Tage nach dem Verlesen des Hirtenbriefes, erhielt Sr. Benedicta die Nachricht, daß einer ihrer Brüder samt Familie ins Konzentrationslager Theresienstadt verbracht worden sei. Am 29. Juni schreiht sie auf einer Postkarte: "Ich nehme es, wie Gott es fügt."

Am 2. August, 5 Uhr nachmittags, erschienen zwei SS-Offiziere im Karmel, verlangten Sr. Benedicta und befahlen ihr, binnen fünf Minuten das Kloster zu verlassen. Die Priorin, die herzugeeilt war, erklärte: "Das ist unmöglich" ,Dann in zehn Minuten. Wir hahen keine Zeit . . . Gebt ihr eine Decke, einen Becher und einen Löffel mit und Proviant für drei Tage." Rosa traf das gleiche Schicksal. Ein Widerstand der Schwestern war unmöglich. Sr. Benedicta faßte beim Verlassen des Hauses Rosas Hand und sagte nur: "Komm, wir gehen für unser Volk."

Über Roermond ging es im Überfallwagen in das Lager Amersfoort, wo sie morgens um 3 Uhr ankamen. Einen Tag später wurden sie in das Konzentrationslager Westerbork gebracht, das als Sammellager diente. Das Lager stand unter der Aufsicht der holländischen Polizei. Diese erlauhte den Schwestern - es waren zehn und aulerdem noch zwei Ordenspriester -, Boten außerhalb des Lagers zu sprechen und Briefe abzusenden. Die beiden Boten aus Echt berichteten unter anderem: "Sr. Benedicta erzählte alles ruhig und gefaßt. In ihren Augen leuchtete der geheimnisvolle Glanz einer heiligen Karmelitin. Mit leisen Worten und stiller Ruhe erzählte sie die Widerwärtigkeiten, verschwieg aber ihre eigenen. Besonders sollten wir im Karmel melden, daß sie das Ordenskleid noch trüge und daß, wenn eben möglich, alle Ordensfrauen - es seien zehn -in der Baracke ihren Habit anhehalten wollten. Schwester Benedicta erzählte, daß alle Leute im Camp so froh wären, weil katholische Schwestern und Patres da seien. Diese wären in diesem Camp die einzige Stütze und Hoffnung für all die armen Menschen, die alles aber auch alles entbehren müßten. Schwester Benedicta war froh, durch tröstende Worte und Gebete helfen zu können. Ihr tiefer Glaube schuf eine Sphäre himmlischen Lebens um sie. Mehrmals versicherte sie, die ehrw. Mutter könne über sie und ihre Schwester ruhig, ganz ruhig sein. Sie hätten den ganzen Tag Zeit zum Beten, das nur dreimal durch das Essenholen unterbrochen würde."

In einem kleinen Brieflein vom 6. August nach Echt, in dem sie für Rosa und sich um einige Gebrauchsgegenstände bittet, steht der Einschub "konnte hisher herrlich beten". Die innige Verbundenheit mit dem Herrn, ihrem Bräutigam, gab ihr auch im Angesicht des Todes einen tiefen Frieden.

Sie, die in häuslichen Dingen so unbeholfen war, entfaltete im Lager eine erstaunliche Tätigkeit. Ein Jude aus Köln, der das Glück hatte, der Deportation zu entgehen, berichtet: "Unter den am 5. August eingelieferten Gefangenen fiel Sr. Benedicta auf durch ihre große Ruhe und Gelassenheit. Der Jammer im Lager und die Aufregung bei den Neueingetroffenen waren unbeschreiblich. Schwester Benedicta ging unter den Frauen umher, tröstend, helfend, beruhigend wie ein Engel. Viele Mütter, fast dem Wahnsinn nahe, hatten sich schon tagelang nicht um ihre Kinder gekümmert und brüteten in dumpfer Verzweiflung vor sich hin. Schwester Benedicta nahm sich sofort der armen Kleinen an, wusch und kämmte sie, sorgte für Nahrung und Pflege. Solange sie im Lager weilte, entwickelte sie mit Waschen und Putzen eine rege Liebestätigkeit, so daß alle darüber staunten."

Am 7. August morgens um 1/2 4 Uhr setzte sich der Transportzug mit den Gefangenen in Bewegung. Am späten Nachmittag hielt der Zug - die Gefangenen waren in Viehwägen eingezwängt - in Schifferstadt bei Speyer. Dem Bahnhofsvorsteher trug sie Grüße an Herrn Pfarrer Schwind auf, den Neffen ihres väterlichen Freundes, des Generalvikars Schwind. Einen Kaplan, der auf dem Bahnsteig auf seinen Anschlußzug wartete, bat sie, Grüße nach St. Magdalena in Speyer mitzunehmen. Hier wurde Edith Stein zum letztenmal gesehen. Den letzten Gruß empfing eine Ordensfrau in Freiburg, die im August 1942 von unbekannter Seite einen mit Bleistift geschriehenen Zettel erhielt: "Grüße von der Fahrt nach Polen. Schwester Theresia Benedicta." Am 9. August kam der Transport in Auschwitz an. Es ist bekannt, daß damals die Gefangenen sofort in die Gaskammern geführt und umgebracht wurden. Unter ihnen Edith Stein, Schwester Theresia Benedicta a Cruce, die vom Kreuz Gesegnete. In der Dunkelheit der Gaskammer erlosch das Licht ihres Lebens in dieser Welt, um in österlichem Glanz neu zu erstrahlen bei Gott. Vom Kreuz gesegnet, hat sie gefunden, was sie die ganze Zeit ihres Lehens gesucht hat: Sie gehört ganz Gott, und Gott gehört ihr.

Möge Edith Stein, diese unvergleichliche Frau, die in unser Leben getreten ist, uns begleiten, daß wie sie auch wir an Gottes Hand leben, die Wahrheit suchen und Gott finden und im Leben wie im Sterben gesegnet seien vom Kreuz Christi.

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