Der Weg in den Karmel

Auf ihren Wunsch, Karmelitin zu werden, reagierte der Erzabt mit entschiedener Ablehnung. Eine Frau mit diesen Gaben müsse in der Welt aktiv werden, war seine Überzeugung. Statt des ersehnten Rückzugs in die Stille eines Karmels wurden auf des Erzabtes Rat hin Edith Steins Aktivitäten in der Welt noch vermehrt. Vortragsreisen führten sie nicht nur in deutsche Städte, sondern auch ins Ausland. Raphael Walzer hielt die Stelle am Speyerer Lehrerinnenseminar für zu bescheiden und gab den Anstoß, daß Edith Stein die akademische Laufbahn beschritt. Am 27. März 1931 nahm sie Abschied von Speyer. Von der Zeit der Kindheit und Jugend in Breslau abgesehen, lebte Edith Stein an keinem Ort so lange wie in Speyer. Das Fazit dieser Jahre: Sie war in der Kirche heimisch geworden. Sie sagt selbst von sich: "Als Lehrerin an der Lehrerinnenbildungsanstalt der Dominikanerinnen durfte sie in der wirklichen katholischen Welt heimisch werden. "

Der Plan einer Habilitation scheiterte in Freiburg wie in Breslau. Edith Stein nahm eine Dozentenstelle am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster an. Im Frühjahr 1932 begann sie dort ihre Vorlesungen, von ihren Studentinnen hochgeschätzt. Ihr geistliches Leben führte sie unverkürzt weiter. Während das Hakenkreuz immer häufiger auf den Straßen zu sehen war, richtete sich das Kreuz Jesu Christi immer höher in ihrem Leben auf. Um durch ihre jüdische Abstammung das Institut nicht zu gefährden, gab sie im Frühjahr 1933 ihre Lehrtätigkeit auf. Am 25. Februar 1933 hielt sie ihre letzte Vorlesung.

Nachdem die Nationalsozialisten die Macht ühernommen hatten, war sie voller Sorge um das Schicksal des jüdischen Volkes. Hellsichtig wie sie war, sah sie voraus, was über die Juden kommen wird. ,Jetzt ging mir auf einmal ein Licht auf, daß Gott wieder einmal schwer seine Hand auf sein Volk gelegt habe und daß das Schicksal dieses Volkes auch das meine war, schreibt sie über den Januar 1933. Darum wollte sie nach Rom zu Pius XI. fahren und ihn bitten, eine Enzyklika über die Judenfrage zu veröffentlichen. Dazu kam es nicht. Aber sie schrieb einen Brief an den heiligen Vater, der diesem im April versiegelt ühergeben wurde.

Erzabt Walzer hatte versucht Edith Stein in die Öffentlichkeit zu führen. Gott aher f ührte sie in die Verborgenheit, Schritt um Schritt. Anfang April 1933 fuhr Edith Stein wieder nach Beuron. In Köln unterbrach sie die Fahrt, um eine ihr verbundene Katechumene zu besuchen. Da es Donnerstag vor dem Herz-Jesu-Freitag war, wollte sie die "Heilige Stunde" besuchen. So gingen die beiden Damen abends um 8

Uhr in die Kirche des Karmels Köln-Lindenthal. Edith Stein schreibt darüber: "Ich sprach mit dem Heiland und sagte ihm, ich wüßte, daß es sein Kreuz sei, das jetzt auf das jüdische Volk gelegt würde. Die meisten verstünden es nicht; aber die es verstünden, die müßten es im Namen aller bereitwillig auf sich nehmen. Ich wollte das tun, er sollte mir nur zeigen wie. Als die Andacht zu Ende war, hatte ich die innere Gewißheit, daß ich erhört sei. Aber worin das Kreuztragen bestehen sollte, das wußte ich noch nicht."

Von Beuron nach Münster zurückgekehrt, drängte ihr Inneres zur Entscheidung. "Seit fast 12 Jahren war der Karmel mein Ziel", seit ihrer Gnadenstunde in Bergzabern, da ihr das Lehen der hl. Teresa in die Hände gefallen war und ihr langes Suchen nach dem wahren Glauben die Erfüllung gefunden hatte. Am 30. April, es war der Sonntag vom Guten Hirten, wurde in der Ludgerikirche in Münster das Patronatsfest mit einem 13stündigen Gebet gefeiert. "Am späten Nachmittag ging ich dorthin und sagte mir: ich gehe nicht wieder fort, ehe ich Klarheit habe, oh ich jetzt in den Karmel gehen darf. Als der Schlußsegen gegeben war, hatte ich das Jawort des Guten Hirten." Dies erinnert an Jakobs Kampf mit dem Engel: "Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest" (Gen 32,27).

Nun gab auch Erzabt Walzer seinen Widerstand auf. Im Mai fuhr sie wieder nach Köln. Eine Bekannte sprach für sie im Karmel bei einer ihr nahestehenden Schwester vor. "Während sie im Sprechzimmer war kniete ich in der Kapelle dicht neben dem Altar der Kleinen hl. Teresa. Es kam über mich die Ruhe des Menschen, der an seinem Ziel angelangt ist." Als Eintritt in das Postulat wurde der 15. Oktober, das Fest der Großen Teresa von Avila, festgelegt.

Nun mußte die Mutter von ihrem Plan in Kenntnis gesetzt werden. Mitte August fuhr Edith Stein nach Breslau. "Am ersten Sonntag im September war ich mit meiner Mutter allein zu Hause. Sie saß mit ihrem Strickstrumpf am Fenster, ich nahe bei ihr. Da kam auf einmal die lange erwartete Frage: "Was wirst du bei den Schwestern in Köln tun?" "Mit ihnen leben." Nun kam eine verzweifelte Abwehr. Meine Mutter hörte nicht auf zu arbeiten. Ihr Garnknäuel verwirrte sich, sie suchte es mit zitternden Händen in Ordnung zu bringen, und ich half ihr dabei, während die Auseinandersetzung zwischen uns weiterging. Von nun an war es mit dem Frieden vorbei. Es lag ein Druck über dem ganzen Haus."

"Der letzte Tag, den ich zu Haus verbrachte, war der 12. Oktober, mein Geburtstag. Er war zugleich ein jüdischer Festtag, der Abschluß des Laubhüttenfestes. Meine Mutter besuchte den Gottesdienst in der Synagoge des Rabbinerseminars. Ich begleitete sie, weil wir diesen Tag möglichst ganz gemeinsam verbringen wollten. Erikas (eine von Edith Steins Schwestern) Lieblingslehrer, ein bedeutender Gelehrter, hielt eine schöne Predigt. Auf dem Hinweg in der Straßenbahn hatten wir nicht viel gesprochen. Um einen kleinen Trost zu geben, sagte ich, die erste Zeit sei nur eine Probezeit. Aber das half nichts. "Wenn du eine Probezeit auf dich nimmst, weiß ich, daß du sie bestehen wirst." Jetzt verlangte meine Mutter, zu Fuß heimzugehen. Etwa dreiviertel Stunde mit 84 Jahren! Aber ich mußte es zulassen, denn ich merkte wohl, daß sie noch gern ungestört mit mir reden wollte. "War die Predigt nicht schön?" - "Ja." -"Man kann also auch jüdisch fromm sein." -"Gewiß -wenn man nichts anderes kennengelernt hat." Nun kam es verzweifelt zurück: "Warum hast du es kennengelernt? Ich will nichts gegen ihn sagen. Er mag ein sehr guter Mensch gewesen sein. Aber warum hat er sich zu Gott gemacht?" Es war ein schrecklicher Tag für Mutter und Tochter. "Wir haben wohl beide in dieser Nacht keine Ruhe gefunden." Am nächsten Morgen fuhr Edith nach Köln. Am Fest der hl. Teresa von Avila, deren Autobiographie sie zum Glauben geführt hatte, durfte sie in die Klausur eintreten. "Endlich tat sie sich auf, und ich überschritt in tiefem Frieden die Schwelle zum Hause des Herrn."

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