Der Ursprung der Karmeliten
Die lateinischen Eremiten auf dem Karmel

"Heilige Männer entsagten der Welt und wählten entsprechend ihren verschiedenartigen Neigungen und Wünschen, sowie ihrem religiösen Eifer Orte zum Wohnen aus, die ihrer frommen Absicht zusagten. Einige, die vom Beispiel des Herrn besonders angezogen waren, entschieden sich für jene ersehnte Wildnis - genannt Quarantena -, wo Unser Herr nach Seiner Taufe vierzig Tage gefastet hatte, um dort als Einsiedler zu leben, und dienten in bescheidenen Zellen Gott auf höchst tapfere Weise. Andere führten in Nachahmung des heiligen Anachoreten, des Prophten Elija, am Berg Karmel ein Einsiedlerleben, besonders an jenem Ort, der über der Stadt Porphyria nicht weit weg vom Kloster der Heilige Jungfrau Margareta liegt und Elijasquelle heißt., Dort bereiteten sie in bienenkorbförmigen bescheidenen Zellen, gleichsam als Bienen des Herrn, Honig geistlicher Süßigkeit." (Bild: Siena, National-Pinakothek. Pietro Lorenzetti: Pala del Carmine, Ausschnitt: "Die Quelle des Elija")

Die von Jacques de Vitry (Geschichte, 1216-1228) erwähnten Einsiedler lebten in einem engen kleinen Tal, das sich ungefähr eine Stunde von Haifa entfernt zum Meer hin öffnete und als Wadi ’ain es-Siah bekannt ist. Die in die Flanken des Berges gegrabenen Höhlen (sie waren einmal zahlreicher als heute) beweisen die Existenz einer Laura, d. h. die Anwesenheit byzantinischer Mönche. Und noch eine Besonderheit: eine größere, zweistöckige Grotte hatte die Namen erhalten "Grotte des Elija" und "Aufenthaltsort des Elischa". Eine Legende erzählte nämlich, daß der Prophet Elischa hier Rast zu halten pflegte. Das kleine Tal wird auch mit Elija, dem Begründer des Mönchswesens, in Beziehung gebracht: Über dem Eingang zum Tal sprudelte und sprudelt auch heute noch eine Quelle, die nach Elija genannt wird. Auch diesbezüglich berichtet die Legende, daß Elija daraus getrunken habe.

Es ist also sicher, daß die kleine Gruppe von Einsiedlern einen durch lange monastische Tradition eingeweihten Ort wählte, um ein Leben in Einsamkeit zu führen. Aller Wahrscheinlichkeit nach sammelten sie sich hier nach 1191, denn in diesem Jahr belagerten die Kreuzfahrer Acri, um die Stadt zurückzuerobern. Damals war der Berg Karmel zu einem wichtigen militärischen Stützpunkt für die Truppen Saladins geworden. Andererseits findet man in den Geschichtsquellen des 12. Jahrhunderts keinen Hinweis auf lateinische Mönche bei der Quelle des Elija. Ihre kleine Gruppe war damals noch nicht so bedeutend, daß sie einen festen Platz in der Reihe monastischer Institutionen gehabt hätte. Spontan und fast zufällig hatten sie sich zusammengefunden, um - wie man damals sagte - "Buße zu tun", d. h. um sich einem Leben des Gebetes und der Askese hinzugeben, ohne kanonisch festgelegte Bindung und Lebensordnung und infolgedessen auch ohne dem Stand der Religiosen anzugehören. Und tatsächlich hatten sie keine Kirche und auch keinen Namen, mit dem sie bezeichnet werden konnten. Es handelte sich ganz einfach um einsam lebende Laien, um Bekehrte, die als Pilger in dem Land leben wollten, das Christus zu eigen war. Aus diesem Grund hatten sie die Welt verlassen und führten nun voll Eifer ein geistliches Leben.

Sie übernahmen alle damals üblichen asketischen Übungen, die zu einem auf evangelische Vollkommenheit ausgerichteten Leben gehörten, obwohl es ihnen nicht gegönnt war, die offizielle Anerkennung von seiten der kirchlichen Autorität zu erlangen.

Wadi 'ain es-Siah. Gegenwärtiger Zustand der Quelle des Elija

Das erste literarische Dokument, das die Existenz der Eremiten auf dem Berg Karmel verbürgt, ist die von Albert, dem Patriarchen von Jerusalem, für sie verfaßte Regel oder Lebensordnung. Das genaue Datum ist nicht bekannt. Auf alle Fälle muß es zwischen 1206 und 1214 gewesen sein, weil Albert in diesen Jahren im Heiligen Land residierte. Die Eremiten wandten sich an ihn mit der Bitte um eine schriftliche Lebensordnung, durch welche ihre Lebensweise festgelegt werden sollte. Albert antwortete mit einem Schreiben, das allgemein bekannt wurde als "Regel der Karmeliten". Der genaue ursprüngliche Text ist nicht bekannt, die wesentlichen Züge können jedoch ermittelt werden. Die Bestimmungen sind ähnlich denen des normalen Lebensstils der palästinensischen Lauren, in denen die Eremiten einem Oberen Gehorsam leisteten, auch wenn die gegenseitigen Beziehungen nicht bis ins einzelne festgelegt waren. Immerhin galt: der ehrfurchtsvollen Haltung von seiten des Untergebenen entsprach die Dienstbereitschaft von seiten des Oberen. Jeder Eremit hatte eine von den anderen abgesonderte Zelle, in der er sich Tag und Nacht das Wort des Herrn betrachtend und im Gebet wachend aufhalten sollte.

Wie bei ähnlichen Gruppen waren die üblichen Bußübungen, Fasten und Gebete vorgeschrieben. Jeden Morgen kamen die Eremiten zusammen, um im Oratorium die Heilige Messe zu hören. In noch weiter zurückliegenden Zeiten trafen sie sich nur einmal in der Woche - am Samstag oder Sonntag -, um die Heilige Messe mitzufeiern und Ermahnungen des Oberen zu hören. Vermutlich haben sie das kirchliche Stundengebet nicht verrichtet. Die Regel schrieb nämlich nur das Beten der Psalmen in der üblichen Weise vor, denn es war allgemein Brauch, daß die Mönche den Psalter - oder wenigstens einen großen Teil der Psalmen - auswendig beten konnten. Außer den Vorschriften für das Gebet gab es andere für das eremitische Leben typische Bestimmungen: die Armut und die Handarbeit, um den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Regel schrieb keine besondere Kleidung vor; es scheint allerdings, daß die Eremiten eine Tunika aus ungefärbter Wolle, einen Gürtel, ein Skapulier und eine Kapuze trugen, und darüber einen weiß und schwarz gestreiften Mantel.

Der Brief des Albert galt als die offizielle Anerkennung der Eremiten von seiten des Bischofs, die von nun an als geistliche Körperschaft betrachtet wurden. Von besonderer Bedeutung ist diesbezüglich die Bestimmung, daß inmitten der Zellen ein Oratorium zu errichten, denn dieses war das Zentrum, um das sich die Gruppe zusammengefunden hatte. Aus einer Notiz, die kurz nach der Abfassung der Regel zu datieren ist, erfahren wir, weshalb die Karmeleremiten mit der Zeit als "Brüder Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel" bekannt wurden. Entsprechend der feudalistischen Mentalität war der heilige Patron der Schutzherr der Gruppe, unter dessen Fahne die Mitglieder sich im geistlichen Kampf einsetzten und die zeitlichen Interessen der Gemeinschaft verteidigten. Viel später kam es dann so weit, daß die Eremiten davon überzeugt waren, zum Dienst und zur Ehre Mariens, der Mutter Gottes, gegründet worden zu sein. Dies wurde sogar im Jahr 1287 beim Generalkapitel von Montpellier bekräftigt und bestätigt.

Nach und nach nahm die Meinung, der Orden sei zur Verehrung Mariens entstanden, legendäre Züge an. Ein Zeuge dafür ist Louis de Sainte Thérèse, der im Jahr 1662 - gestützt auf als sicher angesehene Behauptungen - über Elija schrieb, daß dieser eine prophetische Vision von Maria gehabt habe, die ihm in der kleinen weißen Wolke erschienen sei. Diese Wolke sei aus dem Meer aufgestiegen und habe Israel, das unter einer Dürrekatastrophe litt, den ersehnten Regen gebracht. Bei dieser Gelegenheit sei Elija "geoffenbart worden, daß die Mutter des Messias eine Jungfrau sein werde. Er beschloß, sie nicht nur persönlich nachzuahmen, sondern verlangte es auch von seinen Schülern, die in den von ihm gegründeten Orden eintraten, und den er der Mutter des Herrn weihte."