II. Auf der Suche nach der Wahrheit

In ihrer Lektüre trifft Edith oft auf den Namen "Edmund Husserl", einem Professor für Philosophie in Göttingen. Was man ihr von dieser Stadt erzählt, macht ihr den Mund wässrig: "In Göttingen wird nur philosophiert - Tag und Nacht, beim Essen, auf der Straße, überall" (VII, 147).

Es heißt also aufbrechen! "Ich brauchte neue Anregungen" (VII, 146). "Ich war 21 Jahre alt und voller Erwartung dessen, was nun kommen sollte" (VII, 165).

Der Vogel will sein Nest ein zweites Mal verlassen. Frau Stein ist zwar traurig darüber, stimmt aber um des Glückes und der Ausbildung ihres Kindes willen zu. "Im tiefsten Herzen", schreibt Edith, "hatte ich aber - wie sie wohl auch - eine geheime Ahnung, daß es ein schärfer einschneidender Abschied sei" (VII, 149).

"Zu den Sachen selbst"

In diesem "lieben Göttingen" (VII, 165) mit seinem oft lärmenden und stets intensiven Universitätsleben widmet Edith sich verschiedenen Studien, ihr Hauptinteresse gilt jedoch der "Phänomenologie" von Husserl.

In der "Philosophischen Gesellschaft", dem Kreis der jungen Philosophen, den Edith besucht, knüpft sie zahlreiche Freundschaften. Schon in ihren ersten Tagen in Göttingen begegnet sie dem Assistenten von Husserl, Adolf Reinach, der kurze Zeit darauf vom Judentum zum Christentum konvertiert: "Es war mir, als sei mir noch nie ein Mensch mit einer so reinen Herzensgüte entgegengekommen" (VII, 173). Sie macht die Bekanntschaft von Theodor Conrad und seiner Gattin Hedwig Martius, in deren Haus sie später die Gnade ihres Lebens empfängt.

"Am meisten Eindruck von allen" macht auf sie Hans Lipps, ein junger Mann im Alter von 23 Jahren. Edith, die einer Heirat nicht abgeneigt ist, schreibt: "Er war sehr groß, schlank, aber kräftig, sein schönes, ausdrucksvolles Gesicht war frisch wie das eines Kindes, und ernst - fragend wie die eines Kindes - blickten seine großen, runden Augen. Er sagte seine Ansicht gewöhnlich in einem kurzen, aber sehr bestimmten Satz" (VII, 178).

Der wichtigste Moment für die neue Studentin in Göttingen ist jedoch ihre Begegnung mit dem "Meister" in Person - mit Edmund Husserl, dem Begründer der "Phänomenologie".

Husserl propagiert eine Rückkehr "zu den Sachen selbst", wie sie sich dem Menschen ursprünglich darstellen, eine Rückkehr zu einer präreflexiven Erfahrung der Wirklichkeit, ohne intellektuelle Vorurteile und begriffliche Verzerrungen. Edith Stein faßt ihrerseits zusammen: "Der Blick wendet sich vom Subjekt ab und den Sachen zu: Die Erkenntnis scheint ein Empfangen, das von den Dingen sein Gesetz erhält, nicht ein Bestimmen, das den Dingen sein Gesetz aufnötigt" (VII, 174).

Edith hört die Vorlesungen von Husserl und besucht ihn häufig in seinem Haus, wo er die Fragen der jungen Philosophen beantwortet und sich ihrer Kritik stellt. Sie fühlt sich der philosophischen Sichtweise Husserls sehr nahe. Hedwig Conrad-Martius sagt später über sie: "Edith Stein war geborene Phänomenologin. Ihr nüchterner, klarer, objektiver Geist, ihr unverstellter Blick, ihre absolute Sachlichkeit prädestinierten sie dazu."

Das Phänomen des Glaubens, "ohne Vorurteile und Scheuklappen"

In Göttingen trifft Edith auch den berühmten Philosophen Max Scheler, der sie durch das "Phänomen der Genialität" fasziniert, die er ausstrahlt. "Aus seinen großen blauen Augen leuchtete der Glanz einer höheren Welt", doch in gleicher Weise auch der Glanz und die Begeisterung für seine katholische Überzeugung. "Das war meine erste Berührung mit dieser bis dahin völlig unbekannten Welt."

Sie ist davon zutiefst berührt und versteht, daß der christliche Glaube "ein Bereich von -Phänomenen‘ ist, an denen ich nun nicht mehr blind vorbeigehen konnte". "Die Schranken der rationalistischen Vorurteile, in denen ich aufgewachsen war, ohne es zu wissen, fielen, und die Welt des Glaubens stand plötzlich vor mir. Menschen, mit denen ich täglich umging, zu denen ich mit Bewunderung aufblickte, lebten darin. Sie mußten zumindest eines ernsten Nachdenkens wert sein" (VII, 182-183).

In Göttingen erwacht in Edith also eine Sensibilität für das Phänomen der Religion.

Wir traten für einige Minuten in den Dom, und während wir in ehrfürchtigem Schweigen dort verweilten, kam eine Frau mit dem Marktkorb herein und kniete zu kurzem Gebet in einer Bank nieder.
Das war für mich etwas ganz Neues.
In die Synagogen und in die protestantischen Kirchen, die ich besucht hatte,
ging man nur zum Gottesdienst.
Hier aber kam jemandmitten aus den Werktagsgeschäften in die menschenleere Kirche
wie zu einem vertrauten Gespräch.

Das habe ich nicht vergessen können.

Edith Stein

Dieser kurze Text läßt uns das Innenleben der großen Philosophin von einer anderen Warte entdecken. Zwischen den Zeilen kommt darin ihre große Sehnsucht nach Leben in Fülle zum Ausdruck.

Ihr Wissen, ihr philosophisches Denken verlieren in der Begegnung mit der Überzeugung einer einfachen Frau vom Land plötzlich ihre Bedeutung:

ihre lange durchdachten Theorien werden durch die Praxis einer Marktfrau weit übertroffen,

ihre Glaubenspraktiken aus den Büchern wirken unbeholfen angesichts der spontanen Religiosität einer Frau im Alltag.

Eine neue Dimension steht vor Ediths Augen:

ein Glaube, der sich ausdrückt inmitten der Alltagsbeschäftigungen, mit dem Marktkorb in der Hand;
ein Glaube, der in einer menschenleeren Kirche unbeirrt die Nähe des Herrn sucht;
ein Glaube, der sich mit dem Herrn in einem Ton der Vertrautheit unterhält.

Die große Edith Stein - die vielversprechende Phänomenologin - lernt von einer nicht-studierten Frau, die ihr einen tiefen, einfachen, vertrauten und persönlichen Glauben vorlebt - und Edith kann diese Begebenheit nie mehr vergessen.

Jesus Christus ist nicht nur Objekt von spekulativen Theorien, Er ist nicht nur der Inhalt von rituellen Handlungen an Sonn- und Feiertagen. Eine Marktfrau zeigt ihr, daß Jesus Christus für uns da ist, gegenwärtig in der Eucharistie. Die Begegnung mit Ihm ist für uns immer möglich. Er nimmt keinen Anstoß daran, wenn wir Ihn mit dem Marktkorb oder der Einkaufstasche und ohne Sonntagskleid besuchen kommen.

Diese Worte von Edith haben mich sehr angesprochen. So frage ich mich: Macht uns dieser Text auf eine wesentliche Haltung im Glaubensleben aufmerksam? Die Begegnung mit der Autobiographie der hl. Teresa von Avila - von der Edith berichtet - würde es bestätigen.

Die theologische Theorie braucht die Ergänzung, die Korrektur oder die Bestätigung einer im Alltag gelebten religiösen Erfahrung. Das spekulative Wissen braucht die gelebte Mystik.

Wir Menschen neigen zur Einseitigkeit. Nicht wenige haben heute ein gestörtes Verhältnis zur Theologie und halten sie für zu wenig fromm bzw. ein gestörtes Verhältnis zur Mystik und halten sie für zu wenig wissenschaftlich.

Große Menschen - wie Teresa von Avila oder Edith Stein - zeigen uns, wie nötig wir die Befreiung von dieser ungesunden Glaubenseinseitigkeit haben.

Teresa - die Mystikerin - sucht die Theologen auf, um Sicherheit in ihren religiösen Erfahrungen zu gewinnen;

Edith Stein - die Philosophin - findet in den Berichten der hl. Teresa über ihre mystische Erfahrungen die Bestätigung für ihre Suche nach Wahrheit, nach Gott.

Mystische Erfahrung und theologische Reflexion brauchen einander gegenseitig: als Korrektur, Ergänzung oder Bestätigung.

PAS

Der Kampf des Verstandes

Wir kommen zurück zum Bericht über die Lebensgeschichte unserer neuen Heiligen: Husserl akzeptiert es, Edith bei der Abfassung ihrer Dissertation in Philosophie zu begleiten. Sie möchte das erkenntnistheoretische Problem der Einfühlung in Angriff nehmen.

Dies erweist sich für sie als schwieriger Kampf. Edith kann ihr Thema nicht klar erfassen, sie tappt monatelang im Nebel herum, gelangt zu keiner befriedigenden Formulierung, gerät schließlich ganz aus der Fassung und wird depressiv.

"Damals habe ich das Schlafen verlernt. ... Nach und nach arbeitete ich mich in eine richtige Verzweiflung hinein. Es war zum erstenmal in meinem Leben, daß ich vor etwas stand, was ich nicht mit meinem Willen erzwingen konnte. ... Das brachte mich so weit, daß mir das Leben unerträglich schien. ... Die Vernunftgründe halfen nichts. Ich konnte nicht mehr über die Straße gehen, ohne zu wünschen, daß ein Wagen über mich hinwegführe. Und wenn ich einen Ausflug machte, dann hoffte ich, daß ich abstürzen und nicht lebendig zurückkommen würde. Es ahnte wohl niemand, wie es in mir aussah" (VII, 198).

Edith macht die demütigende Erfahrung ihrer Grenzen. Doch sie setzt ihre Suche fort, arbeitet weiter, wenngleich unbefriedigt. Als sie schließlich Reinach einen ersten Teil ihrer Arbeit zeigt, ist dieser höchst zufrieden und ermutigt sie sehr. Edith ist wie neugeboren. Bald ist jede Schwäche verschwunden.

 

Krankenschwester während des Weltkrieges

Einige Monate später bricht der Erste Weltkrieg aus. Edith läßt sich nicht aus der Ruhe bringen: "Ich verhielt mich schon damals so, wie ich es später in solchen Krisentagen ganz bewußt zu tun pflegte: ich blieb ruhig bei meiner Arbeit, obwohl innerlich bereit, jeden Augenblick abzubrechen. Es widerstrebte mir, durch Herumlaufen und unnützes Gerede die allgemeine Aufregung zu vermehren" (VII, 211).

Aber - und auch das ist typisch für Edith Stein! - sie stellt sich "bedingungslos" ihrem Vaterland zur Verfügung, als Mitglied des Roten Kreuzes. "‘Ich habe jetzt kein eigenes Leben mehr‘, sagte ich mir. -Meine ganze Kraft gehört dem großen Geschehen. Wenn der Krieg vorbei ist und wenn ich dann noch lebe, dann darf ich wieder an meine privaten Angelegenheiten denken’" (VII, 214).

Im April 1915 bietet ihr das Rote Kreuz an, nach Mährisch-Weißkirchen, in Österreich, zu fahren. Frau Stein widersetzt sich heftig: "Mit meiner Einwilligung wirst du nicht gehen!" Mit einer Bestimmtheit, die in dieser Familie völlig unüblich ist, antwortet Edith: "Dann muß ich es ohne deine Einwilligung tun" (VII, 232).

Da sie in der Zwischenzeit einen Kurs für Hilfsschwestern besucht hat, wird ihr die Aufgabe zugewiesen, in einem Militärspital verwundete Soldaten zu pflegen, die von der Karpatenfront zurückgekehrt sind. Im besonderen arbeitet sie im Krankensaal der Typhuskranken und im Operationssaal. "Ich war froh über jede Arbeit, die man mir anvertraute, und sprang auch gern für die anderen ein, wenn sie etwas vorhatten" (VII, 238).

"Bei weitem am liebsten war mir der Kontakt mit den Patienten" (VII, 239), und "der Nachtdienst war mir besonders lieb" (VII, 244).

Aus den vielfältigen Begegnungen mit einfachen Männern verschiedener Nationalität gewinnt Edith reiche menschliche Erfahrung. Ihre Fertigkeit beim Erlernen von Fremdsprachen spielt bei ihren Beziehungen zu den Kranken eine große Rolle.

Die oft heiteren Beschreibungen ihrer Tätigkeit, die sie uns hinterlassen hat, zeigen die Hingabe, mit der sie sich allen widmet, und ihre Menschenkenntnis. Es ist für sie dennoch "ein Fest", einen langen Brief von Husserl und von ihren Philosophen-Freunden Reinach, Kaufmann und Hans Lipps zu erhalten, die alle in der Armee sind.

Nach fünf Monaten fühlt sie sich schließlich ausgelaugt und begreift, daß es höchste Zeit ist, den Urlaub zu akzeptieren, den sie zwei Monate zuvor noch abgelehnt hat: "Aber der Entschluß, fortzugehen, kam doch erst nach heftigen inneren Kämpfen zustande" (VII, 259).

Edith kehrt zu ihrer Familie nach Breslau zurück, entschlossen, wieder ins Spital zurückzugehen - doch dieses wird in der Zwischenzeit geschlossen. So stellt sie sich neuerlich dem Roten Kreuz zur Verfügung, wird jedoch nicht mehr einberufen.

 

Doktor der Philosophie

Edith nimmt die Arbeit an ihrer Dissertation wieder auf. "In dieser Zeit, in der so viel Menschliches auf mich eindrang und mich im Innersten traf, nahm ich doch meine ganze Kraft zusammen, um die Arbeit voranzutreiben, die mir nun schon über zwei Jahre als schwere Last auf der Seele lag" (VII, 265).

Jeden Morgen geht sie daran, zu schreiben... Neue Horizonte tauchen auf. "Indessen füllte sich Seite um Seite, ich wurde rot und heiß vom Schreiben, und ein ungekanntes Glücksgefühl durchströmte mich. Wenn ich zum Mittagessen gerufen wurde, kehrte ich wie aus einer andern Welt zurück. Erschöpft, aber voll Freude ging ich hinunter. Ich war ganz erstaunt, was ich nun alles wußte; Dinge, von denen ich vor ein paar Stunden noch nichts geahnt hatte; und ich war froh über die vielen angesponnenen Fäden, die ich wieder aufgreifen konnte. Dennoch war es jeden Tag wie ein neues Geschenk, daß es weiterging" (VII, 266).

Anfang 1916 wird Edith ersucht, in Breslau Latein zu unterrichten. Nach der Schule arbeitet sie an ihrer Dissertation weiter; am Abend bereitet sie ab 22 Uhr ihre Stunden für den nächsten Tag vor, und zur Erholung liest die Unermüdliche zwischendurch ein wenig Shakespeare...

In der Zwischenzeit ist Husserl von Göttingen an die bedeutendere Lehrkanzel für Philosophie in Freiburg im Breisgau berufen worden. Edith schickt ihm ihre umfangreiche Arbeit über die "Einfühlung" und bricht im Juli 1916 selbst nach Freiburg auf.

Wegen Überlastung hat Husserl noch nicht die Zeit gefunden, ihre Dissertation anzuschauen; endlich macht er sich daran, liest ein paar Seiten und stürzt sich schließlich voll Bewunderung hinein.

Der überarbeitete Meister bräuchte dringend einen Assistenten. Aber wie soll er in diesen Kriegszeiten jemanden finden? Schüchtern bietet Edith ihm ihre Dienste an. Sie erzählt: "Der Meister blieb mitten auf der Friedrichsbrücke stehen und rief in freudiger Überraschung: -Wollen Sie zu mir kommen? Ja, mit Ihnen möchte ich arbeiten!‘ Ich weiß nicht, wer von uns beiden glücklicher war. Wir waren wie ein junges Paar im Augenblick der Verlobung" (VII, 290).

Verlobte der Philosophie! Am 3. August 1916 legt Edith ihre letzten Prüfungen ab und wird Doktor der Philosophie summa cum laude. Am Abend feiert man sie im Haus Husserl. Nach Mitternacht kehren Edith und ihre Freunde in ihre Unterkünfte zurück - Edith mit dem wunderschönen Blumenkranz auf dem Kopf, den Frau Husserl ihr aufgesetzt hat. Die Wirtin meint: "So müßte man Sie fotografieren, solange noch der Glückstrahl da ist! Sonst hat sie immer so ein schaffig‘s Gesicht..." (VII, 292).

Assistentin von Husserl

Fast zwei Jahre lang bleibt Edith als Assistentin von Husserl in Freiburg, bis 1918. Der "verehrte Meister" vertraut ihr eine Unmenge stenographischer Notizen an, die sie übertragen und ordnen soll.

Während sie davon geträumt hat, mit Husserl in einen fruchtbringenden philosophischen Dialog zu treten und die Untersuchungen voranzutreiben, verwendet der Professor die von ihr niedergeschriebenen Texte kaum.

Wie mühsam! Edith hat den Eindruck, mehr Sekretärin zu sein als Assistentin... Dies ist auch der Grund, warum ihre Wege sich schließlich wieder trennen... Doch der tägliche Kontakt mit Husserl und seiner phänomenologischen Methode hat das philosophische Denken Ediths stark stimuliert. "Für mich selbst", schreibt sie an Fritz Kaufmann, "bleibt er immer der Meister, dessen Bild mir keine menschliche Schwäche trüben kann" (VIII, 44). Ihr Nachfolger als Assistent bei Husserl wird der große Martin Heidegger.

Was wir von uns selbst erkennen,
ist nur die Oberfläche.
Die Tiefe ist weitgehend
auch uns selbst verborgen -
Gott kennt sie.

Edith Stein

Die innere Krise

In den zwei folgenden Jahren lebt Edith im gastfreundlichen Haus ihrer Mutter in Breslau: Sie schreibt, unterrichtet privat Philosophie, bereitet sich darauf vor, einen Lehrstuhl an der Universität als Professorin für Philosophie zu erwerben. Doch dem stehen zwei schwerwiegende Probleme gegenüber: Sie ist ... Frau und - der Antisemitismus nimmt bereits immer mehr zu - sie ist ... Jüdin.

Auch andere Fragen plagen sie insgeheim. Wird sie im Leben allein bleiben? Als sie später über das Jahr 1917 schreibt (sie ist zu dieser Zeit 26 Jahre alt), gesteht sie in Anspielung auf ihre geheime Sympathie für Hans Lipps: "Bei aller Hingabe an die Arbeit trug ich doch die Hoffnung auf eine große Liebe und glückliche Ehe im Herzen. ... Es kam vor, daß mir unter den jungen Menschen, mit denen ich zusammenkam, einer sehr gut gefiel und daß ich ihn mir als den zukünftigen Lebensgefährten dachte. Aber davon merkte kaum jemand etwas, und so mochte ich den meisten Menschen als kühl und unnahbar erscheinen" (VII, 154).

Hans reagiert zunächst nicht. Später - verheiratet, jedoch bald Witwer geworden - bittet er Edith um ihre Hand. Aber da hat Edith bereits Christus entdeckt und Seinen Ruf vernommen. Sie sagt zu Hans: "Nun ist es zu spät, denn jetzt hat ein Anderer für immer die Hand auf mich gelegt" (X, 27).

In der Zwischenzeit fehlt ihr allerdings immer noch jegliche persönliche Beziehung zu Gott. "Ich hatte in Göttingen Ehrfurcht vor Glaubensfragen und gläubigen Menschen gelernt; ... aber ich hatte den Weg zu Gott noch nicht wiedergefunden" (VII, 229). Doch es kommt vor, daß sie angesichts von Betenden unruhig wird, ja daß ihr Glaube sogar eine Herausforderung für sie bedeutet.

Dies ist zum Beispiel der Fall nach dem Tod des Philosophen Adolf Reinach, den Edith so sehr geschätzt hat und der 1917 an der Front in Flandern fällt. Seine junge Witwe Anne Stettenheimer, die mit ihrem Gatten vom jüdischen zum christlichen Glauben übergetreten ist, macht Edith durch ihren Mut im Leid und ihren Glauben an die Auferstehung im Innersten betroffen.

Edith gibt später zu, daß seit dieser Begegnung mit Anne die Gestalt Christi und das Mysterium Seines Kreuzes für sie viel an Profil gewonnen haben.

Es ist das Jahr 1920. "Während dieses ganzen Jahres war ich in Breslau. Es brannte mir zwar dort der Boden unter den Füßen. Ich befand mich in einer inneren Krise, die meinen Angehörigen verborgen war und die in unserem Hause nicht gelöst werden konnte" (VII, 161). "Mir ging es damals gesundheitlich recht schlecht, wohl infolge der seelischen Kämpfe, die ich ganz verborgen und ohne jede menschliche Hilfe durchmachte" (VII, 163).

Und scheinbar auch ohne jede Hilfe von Gott, den sie - unbewußt - sucht. "Mein leidenschaftliches Suchen nach der Wahrheit war eigentlich ein einziges Gebet", sagt sie später einmal (X, 142).

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