V. Auf einem steilen Pfad

In ihrer Schrift über "Das Ethos der Frauenberufe" erklärt Edith, daß die Frau zutiefst Mutter ist, ausgerichtet auf das "Lebendig-Persönliche". "Hegen, hüten und bewahren, nähren und im Wachstum fördern: das ist ihr natürliches, echt mütterliches Verlangen." Und sie ist Gefährtin: "Das Leben eines anderen Menschen zu teilen, und zwar an allem Anteil zu nehmen, was ihn betrifft, am Größten und Kleinsten, an Freuden und Leiden, aber auch an Arbeiten und Problemen, ist ihre Gabe und ihr Glück" (V, 3-4). Und dann verbreitet sich Edith - zu ihrer Zeit und mit einer derart positiven Einstellung! - über die berufliche Arbeit der Frau.

Aus ihrer reichen persönlichen Erfahrung heraus äußert sie sich auch zum übernatürlichen Frauenberuf, der die Frau zum "heiligen Dienst" (V, 9) bestimmt. "Sich liebend hinzugeben, ganz eines andern Eigentum zu werden und diesen andern ganz zu besitzen, ist tiefes Verlangen des weiblichen Herzens. ... Nur Gott kann eines Menschen Hingabe ganz empfangen und so empfangen, daß der Mensch seine Seele nicht verliert, sondern gewinnt. Und nur Gott kann sich selbst einem Menschen so schenken, daß Er dessen ganzes Wesen ausfüllt und dabei von sich nichts verliert. Darum ist die restlose Hingabe, die Prinzip des Ordenslebens ist, zugleich die einzig mögliche adäquate Erfüllung des weiblichen Sehnens" (V, 11). In diesem Geist legt Edith am 21. April 1938 ihre ewigen Gelübde ab.

"Verankert im Ewigen"

Der politische Horizont verfinstert sich immer mehr. Die Diktatur des Nationalsozialismus und ihres Führers Hitler geht gegen jede Opposition streng vor und entwickelt einen schrecklichen Rassenhaß, dessen zentrales Ziel die Juden sind.

In der "Kristallnacht", vom 9. auf den 10. November 1938, werden in zahlreichen deutschen Städten die jüdischen Synagogen niedergebrannt, jüdische Geschäfte demoliert und mehr als 30.000 Juden festgenommen.

Edith, die in Köln offiziell als Jüdin bekannt ist, fürchtet, daß ihre Anwesenheit der Kommunität stark schaden könnte. Eigentlich möchte sie gerne zum Karmel von Betlehem aufbrechen, doch die Emigration nach Palästina ist nicht mehr gestattet.

Eine Reise nach Holland ist allerdings noch möglich. Aus diesem Grund macht sich Sr. Teresia Benedicta am 31. Dezmeber 1938 auf den Weg zum Karmel von Echt. Sie lebt dort dreieinhalb Jahre und lernt in dieser Zeit die niederländische Sprache. Im Jahr 1940 kommt ihre Schwester Rosa Stein nach, die inzwischen Tertiarin des Karmel geworden ist; sie übernimmt im Karmel von Echt das Amt der Pförtnerin außerhalb der Klausur.

Edith sieht die Ereignisse mit einer Klarheit, bei der durch ihre Hingabe an Gott der Friede über die Angst siegt. Bereit, das Drama des Gekreuzigten nachzuerleben, bietet sie sich am 26. März 1939, dem Passionssonntag, "dem Herzen Jesu als Opfer der Versöhnung für den wahren Frieden" an.

Sie schreibt an Petra Brüning: "Ich habe kein anderes Verlangen, als daß an mir und durch mich Gottes Wille geschehe. Bei Ihm steht es, wie lange Er mich hier läßt und was dann kommt. ... Aber viel Gebet ist nötig, um in jeder Lage treu zu bleiben. Erst recht für die vielen, die Härteres zu tragen haben als ich und nicht so verankert sind im Ewigen" (IX, 136-137).

Schon auf der ersten Zeile ihrer Autobiographie spricht Edith von den "deutschen Juden", zu denen sie ja auch selbst gehört. Ganz deutsch und ganz jüdisch erlebt sie das Drama doppelt. Doch sie empfindet auch besondere Freude und Stolz: "Sie wissen gar nicht, was es für mich bedeutet", sagt sie zu Pater Hirschmann, "wenn ich am Morgen in die Kapelle komme, den Tabernakel und die Statue von Maria betrachte und zu mir selbst sage: Sie waren von unserem Blut!"

Im September 1940 ersucht die Priorin von Echt sie, anläßlich des bevorstehenden Jahrestages der Geburt des hl. Johannes vom Kreuz (1942) eine Biographie zu verfassen. Dies ist ihr letztes großes Werk: "Die Kreuzeswissenschaft".

Als Ordensschwester hatte Edith sich den Namen "Teresia Benedicta a Cruce" (vom Kreuz) ausgewählt. Das Kreuz von Ostern, das Mysterium der Liebe. Schmachvolle Vernichtung, untrennbar verbunden mit der glorreichen Auferstehung.

Das Kreuz ist - in diesem Buch - das zentrale Thema für Edith, die sich bereit macht, das ihre zu tragen. Auch der heilige Johannes nannte sich "vom Kreuz". Dies schafft ein gemeinsames Band, eine innere Gemeinschaft, ein geheimes Einverständnis.

Doch für Edith beinhaltet das Mysterium des Kreuzes auch das schmerzvolle Los ihres verfolgten jüdischen Volkes und die drohende Gefahr, die ihr eigenes Leben überschattet.

In der Nachfolge Jesu ist der Christ eingeladen, alles zu geben. In der Einleitung zu ihrem Buch erklärt die heilige Edith Stein, daß die Wissenschaft vom Kreuz keine bloße Theorie ist, sondern ein in die Seele gelegter Same des Lebens, der Früchte bringen muß. Der Mensch wird sich dem ungehindert öffnen.

Die Nacht wird der Morgenröte weichen, wird unmerklich vom Licht der Auferstehung durchdrungen und erhellt werden. Der "enge Weg" des Glaubens und einer vollständigen Befreiung durch die Liebe führt zu einem von Herrlichkeit umgebenen Gipfel. Tod und Auferstehung sind hier untrennbar miteinander verbunden. Das trockene Holz fängt Feuer, wird zu einer lebendigen Flamme der Liebe. Der auferstandene Gekreuzigte enthüllt Seine Schätze der Weisheit.

Die - mehr und mehr umgestaltete - Seele ist im wahren Sinn des Wortes "Braut des Wortes".

Vater, in Deine Hände

Ende 1941 schreibt Edith an ihre Priorin: "Eine scientia crucis (Kreuzeswissenschaft) kann man nur gewinnen, wenn man das Kreuz gründlich zu spüren bekommt. Davon war ich vom ersten Augenblick an überzeugt und habe von Herzen: Ave, Crux, spes unica! (Sei gegrüßt, Kreuz, unsere einzige Hoffnung) gesagt" (IX, 167).

Im besetzten Holland verschlimmert sich die Lage der Juden. Die Bemühungen, daß Edith und Rosa noch in die neutrale Schweiz emigrieren können, gehen schief. Die Juden werden von den Besetzern in einem Maß diskriminiert, daß die holländischen Bischöfe wiederholt protestieren. Als Reaktion darauf werden am 2. August 1942 alle jüdischen katholischen Ordensleute festgenommen.

Edith bleiben nur zehn Minuten bis zum Verlassen des Klosters. Eine Frau hört sie sagen, indem sie die ganz verstörte Rosa bei der Hand nimmt: "Komm, wir gehen für unser Volk..." Die beiden werden in die Kommandantur von Roermond deportiert, dann ins Sammellager von Amersfoort und in der Nacht vom 3. auf den 4. August in das von Westerbork.

Am 5. August schreibt Edith ihrer Priorin: "Wir vertrauen auf Euer Gebet. Es sind hier so viele Menschen, die etwas Trost brauchen, und sie erwarten ihn von den Schwestern" (IX, 177).

Zeugen berichten später davon, daß Edith die Mütter tröstet und die Kinder wäscht und kämmt. In ihrer Seele aber trägt sie den Schmerz der anderen mit und das, was sie klar voraussieht... Ein Zeuge, der sich an sie erinnert, wie sie in einer Baracke sitzt, vergleicht sie mit "einer Pietà", mit dieser Mutter der Schmerzen, die Edith so zärtlich liebt. Sie trägt noch immer ihren Karmel-Habit.

Es ist bekannt, daß am 7. August ein Eisenbahnkonvoi Edith und viele weitere jüdische Schwestern und Brüder nach Polen bringt. Von diesem Zeitpunkt an gibt es über Edith keine persönlichen Details mehr.

Am 9. August 1942 erreicht der Zug Auschwitz-Birkenau. Unmittelbar nach der Ankunft sind die jüdischen Frauen wohl in die Umkleideräume geschickt worden und anschließend in die Gaskammern.

Edith Stein hat ihren Tod in Gemeinschaft mit Jesus auf sich genommen, gestützt durch die Wissenschaft vom österlichen Kreuz.

Wie der Gekreuzigte ist sie arm gestorben, zusammengepfercht, unter den Frauen ihres Volkes, vielleicht Rosa in ihren Armen.

Die berühmte Philosophin ist in der Anonymität untergegangen.

Aus den Händen des Vaters empfängt Edith das Leben ohne Ende.

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