Der Mantel des Elija

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Auch der französische Karmelit Jean Fillons de Venette bereicherte in seinen Schriften die Traditon mit weiteren Einzelheiten. Er schrieb in der zweiten Hälfte des 14. Jh. (1348 - 1357: "Chroniken"). Auf ihn geht der Symbolismus des gestreiften Mantels zurück, den die Karmeliten fast durch das ganze 13. Jh. hindurch trugen und der im Jahr 1287 durch den bis heute gebräuchlichen weißen Mantel ersetzt wurde. Der damalige Mantel war der Länge nach aus weißen und grauen Streifen zusammengesetzt. Die beiden Farben weisen auf das reine und bußfertige Leben der Karmeliten hin. Von den sieben Streifen sind die drei grauen Symbol der theologalen Tugenden, während die vier weißen die vier Kardinaltugenden versinnbildlichen. Jean de Venette erklärte auch noch den Ursprung dieser Streifen: Als Elija im Feuer in den Himmel entrückt worden sei, habe er Elischa seinen Mantel zurückgelassen. Dabei seien die nach außen gewendeten Falten vom Feuer versengt worden. Nach dem Bericht der Bibel teilte Elischa mit diesem Mantel die Gewässer des Jordan (2 Kön 2,14), ein Zeichen dafür, daß der Geist des Elija - seinem Wunsch entsprechend - auf ihn überging. Von diesem Tag an begannen die Schüler einen solchen Mantel zu tragen.

Die Behauptungen all dieser Schriftsteller kreisen um den inneren Kern der den Karmeliten eigenen elijanischen Überlieferung, derzufolge eine ununterbrochene Kette von Eremiten von Elija an bis in die Zeit des Albert von Jerusalem bestand. Von daher entwickelte sich bei den Karmeliten die Überzeugung, Söhne des Elija zu sein, und zwar auf ganz andere Weise als alle übrigen Mönche, die im Propheten ihren Gründer und ihr Ideal sahen.

Speculum Carmelitanum, I. Band. Antwerpen 1680, S. 84. Elija baut auf dem Berg Karmel ein Oratorium, um dort dreimal täglich mit den Schülern zusammenzutreffen und das Lob Gottes zu singen.

Karmelitanisches Mönchtum

Eine weitere Vertiefung brachte der katalanische Karmelit Felipe Ribot, der gegen Ende des 14. Jh. das Werk schrieb: "Libri decem de institutione et peculiaribus gestis religiosorum carmelitarum". Es handelte sich dabei um den Versuch, Geschichte und Spiritualität zu verschmelzen. Allerdings besaß Ribot eine sehr eigenwillige Auffassung von Geschichte. Er folgt dem Beispiel anderer Mitbrüder und stützt sich auf eine Feststellung von Isidor von Sevilla, der davon überzeugt war, daß das monastische Leben von Elija und von seinen Schülern begründet wurde. Eine Reihe von persönlich gefärbten Beweisen ermöglichte es ihm, alle Persönlichkeiten, die irgendwie mit dem Mönchtum zu tun hatten, als Mitglieder des Karmelitenordens zu bezeichnen.

Nachfolgende Autoren holten noch weiter aus und verwandelten alle Mönche in Karmeliten. Denn - so meinten sie - gerade weil sie sich zum monastischen Leben bekannten, mußten sie Schüler des Elija gewesen sein: entweder weil sie ihn nachahmten oder weil sie gleichzeitig Schüler und Nachahmer waren. Gerade diese Tatsache machte sie nach seiner Auffassung zu Karmeliten. Auf diese Weise wurden Johannes der Täufer, die Patriarchen der Mönche - Antonius und Hilarion -, Cyrillus, der Bischof von Alexandria, der auf dem Konzil von Ephesus im Jahr 431 die wahre Mutterschaft Mariens verteidigt hatte, Mitglieder des Karmelitenordens. (Bild: Speculum Carmelitanum, I. Band. Antwerpen 1680, S. 82. Elija führt Elischa und seine übrigen Schüler auf den Berg Karmel, wo er den Orden der Karmeliten zu Ehren der in der kleinen Wolke geschauten Jungfrau gründet.)

Die überlieferte Ansicht wurde dann in den Geschichtswerken des 17. Jh. als vollendete Tatsache übernommen, indem man bei der Beschreibung der Geschichte des Ordens immer bei Elija anfing. Eine ganz besondere Stellung nehmen die sogenannten prophetischen Geschichten ein, die so weit gehen, eine vollständige Liste aller Generaloberen von Elija bis in die Zeit des Schriftstellers zusammenzustellen.

Mit dem Beginn der kritischen Geschichtsschreibung, die von den Bollandisten im 17. Jh. auch auf die Heiligenlegenden angewandt wurde, erhielt auch die Glaubwürdigkeit solcher Phantasiegebilde einen ersten Schlag. Es dauerte aber noch bis zum 20. Jh., bis sie an den ihnen zukommenden Platz verwiesen wurden: in das Reich der Legenden.

Der Geist des Elija

Wenn auch das sogenannte "geschichtliche" Gerüst auf zweifelhaften und darum dem Untergang vorherbestimmten Elementen aufgebaut worden war, war es doch Träger eines Lebensideals und eines Bezugspunktes, der für die lateinischen Mönche Anlaß war, sich in der Nähe der Elija-Quelle niederzulassen. Deshalb gibt es neben den Schriften, die zu Unrecht geschichtliche Glaubwürdigkeit beanspruchen, auch solche mit lehrhaftem Inhalt, die die Spiritualität des Elija als Lebensmodell für den Karmeliten zeigen.

Diesbezüglich ist das oben erwähnte Werk des Ribot von großer Bedeutung. Das erste von den zehn Büchern "De institutione et peculiaribus gestis primorum monachorum" hat in der karmelitanischen Überlieferung einen erstrangigen Stellenwert erlangt. Es wurde sogar eine Zeitlang von der Gruppe der Einsiedler als die ursprüngliche Regel betrachtet, von der sich Albert von Jerusalem inspirieren ließ.

Die Schrift wird vorgestellt als das Werk eines gewissen Johannes 44., des Bischofs von Jerusalem und ehemaligen Einsiedlers auf dem Berg Karmel. Der Verfasser wendet sich an Caprasius, den Oberen der Eremiten und seinen ehemaligen Gefährten mit der Absicht, ihm den Anfang des Ordens zu schildern: wie und wo er sich entwickelt hat.

Elija ist die zentrale Gestalt des gesamten Werkes: er wird als der erste Mönch betrachtet, der das monastische Leben begründet hat. Mit den im Mittelalter gebräuchlichen Methoden der Exegese erklärt der Verfasser den Text, mit dem die Bibel den Elija-Zyklus einleitet: "Danach erging das Wort des Herrn an Elija: Geh weg von hier, wende dich nach Osten, und verbirg dich am Bach Kerit östlich des Jordan! Aus dem Bach sollst du trinken, und den Raben habe ich befohlen, daß sie dich dort ernähren" (1 Kön 17,2-3)

Das "Geh weg" und das "Verbirg dich" sollen Hinweis auf die Anstrengung des Menschen sein, der mit Hilfe der Gnade die Tugenden üben muß. Auf diese Weise kann der Mönch Gott ein heiliges, von jedem Sündenmakel reines Herz anbieten. Ist er so weit gekommen, dann ist er bereit, Gottes Geschenk anzunehmen, und kann "aus dem Bach trinken", d. h. er ist fähig, die Kraft der Gegenwart Gottes im Herzen zu verkosten.

Diese Weisung an Elija, den Anführer und Fürsten der Mönche, ist exemplarisch für all seine Nachahmer. Die an ihn gerichteten biblischen Worte werden erläutert und bilden die tragende Struktur für den Lebensweg des Mönches: "Geh weg von hier (d. h. von den hinfälligen Wirklichkeiten der vergänglichen Welt), wende dich nach Osten (d. h. kämpfe an gegen die natürliche Begehrlichkeit des Fleisches), verbirg dich am Bach Kerit (du sollst dich nicht in der Stadt bei vielen Menschen aufhalten), östlich des Jordan (wende dich ab von jeder Sünde durch die Übung der Liebe)." Wenn du zum Gipfel dieser prophetischen Vollkommenheit emporsteigst und die vier Stufen hinter dir gelassen hast, dann wirst du "aus dem Bach trinken". Und damit du treu sein kannst, habe ich "den Raben befohlen, daß sie dich dort ernähren". (Bild: Speculum Carmelitanum, I. Band. Antwerpen 1680, S. 72. Elija schaut in der aus dem Meer aufsteigenden Wolke die ohne Erbsünde empfangene Jungfrau, sie, die der Welt den Erlöser schenken wird.)

Auf diese Weise wird in Anlehnung an den biblischen Bericht über Elija ein Weg mit vier Stufen bis ins Einzelne genau beschrieben. Dieser Weg beginnt mit dem Verzicht auf irdische Güter, und führt über die Abtötung der Leidenschaften, und das Aufsuchen der Einsamkeit, zu einem Leben in der Liebe, und zwar der doppelten Forderung der Liebe zu Gott und zum Nächsten. So gelangt der Mönch zur klaren Erkenntnis Gottes.

Bedeutung einer Entwicklung

Im Prolog zum "Leben des hl. Paulus", des ersten Eremiten, berichtet der hl. Hieronymus auch über verschiedene Meinungen bezüglich des Ursprungs des Mönchslebens. Er erwähnt die Meinung jener, die in Elija und Johannes dem Täufer die Begründer des Mönchslebens sehen. Johannes der Täufer ist im Evangelium tatsächlich wie ein Eremit geschildert: er trug ein Gewand aus Kamelhaaren, Heuschrecken und wilder Honig waren seine Nahrung, und er lebte in der Wüste, bis er sich mit seiner Botschaft an Israel wandte. Ab dem Zeitpunkt, als Jesus Johannes den Täufer den "neuen Elija" nannte, folgerte man, daß auch Elija in gewisser Weise in der Wüste gelebt haben mußte, d. h. im weiteren Sinn an einem einsamen Ort. Da das Buch der Könige Elija mit dem Berg Karmel in Verbindung bringt, dauerte es also nicht lange, bis man auch den Ort seiner Einsiedelei festzulegen begann. Im 4. Jh. war die Tradition bereits fest verwurzelt: Cassian spricht von den Einsiedlern, die in tiefer Einsamkeit leben, und behauptet, daß "sie Nachahmer Johannes des Täufers seien, der sein ganzes Leben in der Wüste zubrachte, indem er das Beispiel des Elija und des Elischa nachahmte".

Als sich das Mönchstum weiter entwickelte und verbreitete, entstanden Klöster überall dort, wo man sich an biblische Persönlichkeiten erinnerte. Zu diesen Orten gehörten nicht nur das Gebiet um Jericho und die Wüste Juda; auch der Berg Karmel wurde von zahlreichen Einsiedlern bevölkert. Diese enwickelten bald ein Gespür für eine "heilige Topographie" und glaubten, da und dort, an den Abhängen der Gebirgskette, Orte zu entdecken, an denen sich wirkliche oder eingebildete Szenen aus dem Leben des Elija und des Elischa abgespielt hätten. Der anonyme Pilger aus Piacenza zum Beispiel verlegte um 570 den Besuch der Schunamiterin bei Elischa in das gleichnamige Kloster auf dem Berg Karmel.

Nachdem es gelungen war, Elija von der hebräischen Welt der Bibel mit dem griechischen Mönchstum in Verbindung zu bringen, mußten die karmelitanischen Schriftsteller einen weiteren Schritt tun, indem sie aus dem griechischen Mönch Elija die Gestalt eines lateinischen Einsiedlers machten. Der Verfasser des Briefes an den hl. Cyrillus, der in das Werk des Ribot aufgenommen wurde, vermutete, daß der Berg Karmel von griechischen Mönchen bewohnt gewesen sei, die nach einer für sie geschriebenen Regel von Johannes dem 44., dem Patriarchen von Jerusalem, bis zur Eroberung des Heiligen Landes durch die Kreuzfahrer gelebt hätten. Dann hätten sich Pilger aus dem Westen den griechischen Mönchen angeschlossen, dadurch allerdings eine Krise heraufbeschworen. Sie seien nämlich der griechischen Sprache unkundig gewesen und hätten daher die Vorschriften der Regel nicht genau einhalten können. Aus diesem Grund habe Aymerich, der Patriarch von Antiochia, die Regel des Johannes des 44. von Jerusalem ins Lateinische übersetzen lassen. In der Folge habe er dann auch anstatt der griechischen Oberen lateinische eingesetzt, indem er einen gewissen Bertholdus, einen Verwandeten, zum Prior der Einsiedler auf dem Berg Karmel ernannt habe. So sei die Situation gewesen, als Albert, der Patriarch von Jerusalem, seine Lebensnorm "formula vitae" verfaßt habe.

Die elijanische Tradition der Karmeliten zeigt also eine innere, zusammenhängende Logik: sie ist aus der Notwendigkeit heraus entstanden, die Existenz des Ordens zu rechtfertigen; sie betont mit Nachdruck die Bindung an die vorhergehende monastische Tradition und hält darum fest an der ununterbrochenen Nachfolge. Diese wird schließlich zurückverfolgt bis zu Elija, den alle als gemeinsamen Anführer anerkannten: den Mann aus Feuer.

Haifa. Konvent Stella Maris. Fresko von Luigi Poggi (1926-1928), unbeschuhter Karmelit aus Malta. Das Fresko zeigt die Heilige Familie, die den Eremiten auf dem Berg Karmel einen Besuch abstattet. Dies wird uns von einer mittelalterlichen Legende berichtet, die zum Ausdruck bringt, wie sehr der Karmel das lebhafte Bedürfnis hatte und hat, in enger Beziehung mit Maria zu leben.

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