Die Elijanische Überlieferung
P. Silvano Giordano

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In den ersten Jahren des 13. Jh. gab der Patriarch Albert von Jerusalem einer Gruppe von lateinischen Einsiedlern eine Lebensordnung; sie lebten bei der sogenannten "Quelle des Elija". Der Gedanke liegt nahe, daß der Entschluß, an diesem bestimmten Ort zu leben, einer gut überlegten Wahl entsprach, ein Leben zu führen, für das Elija Urbild und Vorbild war. Zudem hatten hier, durch viele Jahrhunderte hindurch, schon Mönche gelebt, es existierte also eine Tradition. Gemäß den patristischen Überlieferungen von Athanasius, Hieronymus und Cassian schien Elija die exemplarische Verwirklichung des monastischen Lebens darzustellen. Man kann daher mit Recht behaupten, daß sich die Nachahmung des Elija schon seit den Anfängen des karmelitanischen Ideals feststellen läßt.

Speculum Carmelitanum I. Band, Antwerpen 1680, S. 50. Elija, "ein außergewöhnlicher Patriarch, ein hochheiliger Prophet, ein Hoherpriester, der erste Mönch und Gründer des Mönchtums; der Gottesgebärerin Herold, Verehrer und Nachahmer; Christi zukünftiger Vorläufer, Apostel und Märtyrer."

Die Übersiedlung der Karmeliten nach Europa war unter dem Druck moslemischer Überfälle notwendig geworden. Die ganze Entwicklung schien in eine gewisse Krise zu geraten. Verschiedene Ereignisse zwangen die Mönche nun, sich auf ihre Ursprünge zu besinnen: das IV. Laterankonzil (1215) hatte neue Ordensgründungen verboten, um das Aufschießen von neuen Gruppen zu verhindern; das zweite Konzil von Lyon (1274) verfügte tatsächlich die Aufhebung zahlreicher Kommunitäten, weshalb auch die Existenzberechtigung der Karmeliten auf dem Spiel stand. Dem gegenüber waren sie gezwungen, sich selbst zu behaupten. Allerdings konnten sie keinen allgemein bekannten Ordensgründer vorweisen wie die Franziskaner oder die Dominikaner. Darum mußten sie zurück zu den Ursprüngen, auf denen das Ideal ihrer Lebensform gewachsen war.

Elija, der Ordensgründer

Die Notwendigkeit, den jüngeren Brüdern eine entsprechende Antwort zu geben, wenn sie nach dem Anfang ihres Mönchslebens fragten, wird klar im ersten Textabschnitt, mit dem die Konstitutionen von 1281 beginnen. Es könnte sein, daß dieser Text noch älter ist und sogar bis in die Vierziger Jahre des Jahrhunderts zurückreicht, in dem die ersten Brüder vom Heiligen Land nach Europa auswanderten. Wenn das stimmt, dann kann es sich tatsächlich um die Antwort handeln, die für jene vorbereitet wurde, die nach dem Ursprung des Ordens fragten:

"Wir erklären und beschwören, daß ohne jeden Zweifel seit der Zeit, da die Propheten Elija und Elischa in frommem Wandel auf dem Berg Karmel lebten, heilige Väter, sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments, welche die Kontemplation himmlischer Dinge in die Einsamkeit desselben Berges zog, dort bei der Eliasquelle in heiliger Buße ununterbrochen durch Generationen ein heiliges Leben geführt haben.

Albertus, der Patriarch von Jerusalem zur Zeit Innozenz III., faßte sie alle zu einer Gemeinschaft zusammen, indem er ihnen eine Regel gab, welche Papst Honorius, der Nachfolger Innozenz´, und viele andere Päpste nach ihm approbierten und mit ihren Bullen bestätigten. Indem wir bis auf den heutigen Tag auf diese Regel die Profeß ablegen, dienen wir, ihre Nachfolger, in verschiedenen Teilen der Welt dem Herrn."

Deutlich und kurz zusammengefaßt, drückt dieser Text das beharrliche Selbstbewußtsein der Karmeliten aus: angefangen von Elija hat eine ununterbrochene Reihe von Religiosen als seine Nachfolger das Andenken an den Propheten auf dem Berg Karmel wachgehalten - bis in unsere Zeit.

 

Speculum Carmelitanum I. Band, Antwerpen 1680, S. 58. Elija zieht sich auf göttliche Anregung in die Einsamkeit zurück. "Zieh weg von hier, wende dich gegen Osten und verbirg dich am Bach Kerit."

Die Nachfolger des Propheten

Der Text der Konstitutionen antwortet allerdings nur auf die Frage nach dem Ursprung. Fast 2.000 Jahre - von Elija bis Innozenz III. - bleiben weiterhin im Dunkeln. Diese große Lücke versucht die Chronik "Universis christifidelibus" auszufüllen. Sie ist das Werk eines anonymen Schriftstellers zu Beginn des 14. Jh. und richtet sich an alle, die mehr über die Entstehung der Karmeliten wissen wollten. Der Autor ging mit Erfolg ans Werk: Allerdings paßte er in einer sehr eigenwilligen Methode eine Reihe von verschiedenen Dokumenten seinem Zweck an und ergänzte alles Fehlende willkürlich nach eigenem Gutdünken. Diesem Dokument nach ist die Geschichte der Karmeliten in drei Teile gegliedert: von Elija bis zur Ankunft Christi, von Christus bis Albertus von Jerusalem, von Albertus bis zur Zeit des Schriftstellers.

Wenn man diesem Aufbau folgt, wären die Schüler des Elija, die als wahre Israeliten die Ankunft des Messias erwarteten, zu Jesus geströmt, um Sein Wort zu hören. Darum hätten sie sich in Jerusalem beim Tor der hl. Anna niedergelassen. Als dann die Heilige Stadt auf Befehl von Vespasian und Titus zerstört wurde, wären diese Prophetenschüler - im Hinblick auf Christus - von den Römern geehrt worden. Ihre Nachfolger, auf die ein Text des Briefes an die Hebräer bezogen wurde - der an sich von den Gerechten des AT spricht, hätten sich dann in alle Welt zerstreut : "Sie, deren die Welt nicht wert war, irrten umher in Wüsten und Gebirgen, in den Höhlen und Schluchten des Landes" (Hebr 11,38) bis zum Jahr 1200. Vor allem hätten sie sich in der Gegend von Antiochia niedergelassen, als der Apostel Petrus dort seinen Bischofssitz aufschlug.

In der Folge hätte ein gewisser Johannes, Patriarch von Jerusalem und Bruder dieses Ordens, ihnen eine Regel gegeben, die von den beiden Kirchenvätern Paulinus und Basilius verfaßt worden sei. Auf diese Weise hätten sie gelebt, bis Albert, der Patriarch von Jerusalem, die verstreuten Brüder zusammengerufen und sie unter den Gehorsam eines Bruders gestellt hätte.

Ein zur gleichen Zeit entstandener anonymer Text, der dominikanischen Einfluß aufweist, ergänzt den vorher erwähnten und behauptet, daß um die Mitte des 12. Jh. der Franzose Aymerico di Malafayda, Patriarch von Antiochia, die auf dem Berg Karmel verstreut lebenden Eremiten in eine Gemeinschaft zusammengeschlossen hat. Später sei das gemeinsame Leben von Albert, dem Patriarchen von Jerusalem, noch genauer und besser organisiert worden. In der Nähe der Elija-Quelle haben die Eremiten zu Ehren der Muttergottes eine Kirche gebaut. Diese spärlichen, zum Großteil erdichteten Hinweise bildeten das Fundament für die beharrliche und dauernde Behauptung karmelitanischer Schriftsteller, daß Elija und ihr Orden in direktem Zusammenhang stehen und daß die ununterbrochene Kette der Nachfolger der ersten Eremiten vom AT bis in das NT hineinreiche. Diese Überlegungen führten zu der Annahme, daß Elija der Gründer des Ordens ist. (Bild: Speculum Carmelitanum, I. Band, Antwerpen 1680, S. 60. In der Zurückgezogenheit beim Bach Kerit führt Elija die ersten Schüler in die mönchische Lebensweise ein.)

Elija und Maria

In seinem kleinen Werk "Speculum de institutione ordinis" unternahm der englische Karmelit John Baconthorpe in den ersten Dezennien des 14. Jh. zum ersten Mal den Versuch, die elijanische und die marianische Tradition des Ordens zu verbinden. Baconthorpe berief sich auf zwei Stellen im Buch Jesaja. In der ersten (Jes 7,14) verkündet der Prophet die Geburt eines Kindes von der Jungfrau. In der zweiten Stelle (Jes 35,1-2) ist zwar die Stadt Jerusalem gemeint, doch wird sie von vielen geistlichen Schriftstellern auf Maria angewandt. Es heißt hier: "Die Pracht des Karmel wird ihr geschenkt", und Baconthorpe folgerte daraus, daß Maria die Herrin des Berges sei. Könige und Propheten haben ihre Heldentaten auf dem Karmel vollbracht, und wie der Karmelit annahm, sei dies zu Ehren Mariens geschehen. Deshalb meint er, daß auch der Karmeliten-Orden dort zur Zeit des Elija und Elischa entstanden sei, um der Verehrung der Jungfrau und Herrin des Berges Bestand zu verleihen. Außerdem haben Elija und Elischa durch Taten und Wunder Christus, den Sohn Mariens, vorausverkündet. Da diese Propheten - so folgerte Baconthorpe - auf dem Karmel lebten, der zu Ehren Mariens ihren Namen trug, mußten auch die Karmeliten zu Recht den Titel der seligen Maria tragen.

Jean de Cheminot, ein Karmelit aus Lorena, schrieb um das Jahr 1350 den "Speculum fratrum ordinis beatae Mariae de monte Carmeli", begründete darin die Meinung, daß das elijanische und marianische Element zusammengehören, und brachte die beiden Persönlichkeiten in Beziehung zum Berg Karmel. Cheminot behauptete sogar, Elija und Maria seien Nachkommen des Stammes Aaron und beide hätten das Versprechen der Ehelosigkeit abgelegt. Wie Elija auf dem Karmel gewohnt habe, so sei auch Maria häufiger Gast bei den dortigen Religiosen gewesen, weil ja Nazaret nicht weit vom Berg entfernt sei. Zur Erinnerung daran hätten die Eremiten nach der Himmelfahrt des Herrn neben der Elija-Quelle eine Kirche zu Ehren Mariens erbaut. Einige Jahrhunderte später hätten sie daraus ihren Namen abgeleitet: "Brüder der seligen Jungfrau".

Der gleiche Jean de Cheminot baute, beeinflußt durch Texte von Hieronymus und Cassian, die aus Elija und Elischa die Begründer des Ordenslebens machen, eine ununterbrochenen Reihe von Nachfolgern auf und zählte sogar den Propheten Jonas, der mit dem Sohn der Witwe von Sarepta identifiziert und von Elija zum Leben erweckt wurde, den Propheten Obadja und Johannes den Täufer dazu. Was Hieronymus und Cassian nur allgemein vom Ordensleben gesagt hatten, wandte nun Cheminot ganz konkret auf die Karmeliten an. Dies öffnete Tür und Tor für die Behauptung, daß alle Persönlichkeiten - sowohl des Alten wie auch des Neuen Testamentes -, die auf irgendeine Weise Beziehungen zum Mönchtum hatten, dem Karmelitenorden angehört hätten.

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