Vom Haß verfolgt

Der Judenhaß der Nationalsozialisten steigerte sich immer mehr. Edith Stein war sich im klaren, daß ihre Anwesenheit eine Gefährdung des Kölner Karmel darstellte. Man erwog den Wechsel in ein ausländisches Kloster. Edith Stein wäre am liebsten in den Karmel nach Bethlehem gegangen. Dieser Plan war jedoch nicht ausführbar. Am 9. November entlud sich in der Kristallnacht der Haß der Machthaber gegen die Juden. Edith Stein war erfüllt von tiefem Schmerz und Entsetzen. "Das ist der Schatten des Kreuzes, der auf mein Volk fällt . . . Wehe, wenn die Rache Gottes für das, was heute an den Juden geschieht, über diese Stadt und dieses Land kommt." Sr. Benedicta konnte nicht mehr bleiben. In der Silvesternacht brachte sie ein dem Kloster befreundeter Arzt mit seinem Auto über die holländische Grenze in den Karmel nach Echt.

Äußerlich war sie, wenigstens im Augenblick, der Gefahr entgangen. In ihrem Innern aber umfaßte sie das Kreuz des Herrn noch inniger und verband sich noch fester mit dem Leid ihres Volkes. Am Passionstag 1939 bat sie in schriftlicher Form ihre Priorin ausdrücklich um die Erlaubnis, sich Gott als Sühneopfer für den Frieden der Welt anbieten zu dürfen. Sie schreibt: "Liebe Mutter, bitte erlauben Euer Ehrwürden mir, mich dem Herzen Jesu als Sühneopfer für den wahren Frieden anzubieten: daß die Herrschaft des Antichrist wenn möglich ohne einen neuen Weltkrieg zusammenbricht und eine neue Ordnung aufgerichtet werden kann. Ich möchte es heute noch, weil es die zwölfte Stunde ist. Ich weiß, daß ich ein Nichts hin, aber Jesus will es, und Er wird gewiß in diesen Tagen noch viele andere dazu rufen. Passionssonntag, 26. III. 1939."

In Echt beschäftigte sie sich intensiv mit Johannes vom Kreuz. Sie sollte ein Werk über den Heiligen schreiben zum 400. Jahrestag seiner Gehurt 1942. So entstand ihr letztes großes Werk "Kreuzeswissenschaft", das unvollendet hlieh. Was sie hier über die Lehre des heiligen Johannes vom Kreuz schreibt, mutet an wie eine Schilderung ihrer selbst. "So ist die bräutliche Vereinigung der Seele mit Gott das Ziel, für das sie geschaffen ist, erkauft durch das Kreuz, vollzogen am Kreuz, und für alle Ewigkeit mit dem Kreuz besiegelt." "Die Vereinigung mit Gott . . . war die Frucht einer inneren Läuterung, in der eine reichbegahte Natur sich selbst mit dem Kreuz belud und sich Gottes Hand zur Kreuzigung auslieferte; ein Geist von höchster Kraft und Lebendigkeit hat sich gefangen gegeben, ein Herz voll leidenschaftlicher Glut ist in radikalem Verzicht zur Ruhe gekommen."

Im Jahre 1940 besetzten die Deutschen Holland, so daß die Gefahr, der sie in Köln entkommen war, sie hier wieder einholte. Im gleichen Jahr kam ihre Schwester Rosa zu ihr in den Karmel nach Echt, wo sie Dienst an der Pforte versah. 1942 zog sich das Unheil über den beiden Schwestern zusammen. Sie wurden zur Gestapo nach Maastricht beordert. Als sie das Büro der Gestapo betraten, grüßte Sr. Benedicta die Beamten anstatt mit dem vorschriftsmäßigen "Heil Hitler!" mit "Gelobt sei Jesus Christus!". Später erklärte sie der ehrwürdigen Mutter, sie habe sich zu diesem, menschlich gesehen, unklugen Verhalten getrieben gefühlt, weil sie sich klar war, hier gehe es nicht um bloße Politik, sondern um den uralten Kampf zwischen Jesus und Luzifer. Von da an mußten die beiden Schwestern den gelben Judenstern an ihren Kleidern tragen. Im Mai wurden sie wieder vorgeladen, diesmal bei der Gestapo in Amsterdam. Trotzdem blieb ihr innerer Friede unerschüttert. Sie schrieb in jenen Wochen: "Ich bin mit allem zufrieden. Eine Scientia Crucis kann man nur gewinnen, wenn man das Kreuz gründlich zu spüren hekommt. Davon war ich vom ersten Augenblick an überzeugt und habe von Herzen gesagt: ,Ave Crux, spes unica'." Sie sah das Kreuz mit aller Unerbittlichkeit auf sich zukommen, aber sie floh nicht vor ihm, sondern begrüßte es als spes unica, als einzige Hoffnung, um es zu ergreifen. Und im Juni schrieb sie nach Köln: "Ich trage seit Monaten ein Zettelchen auf dem Herzen mit der Schriftstelle: Mt 10,23. Mit Le Paquier laufen Verhandlungen, aber ich bin so vertieft in Vater Johannes vom Kreuz, daß mir alles andere gleichgültig wird." Le Paquier war ein Schweizer Karmel, in den sie überwechseln sollte. Aber so weit kam es nicht mehr. Die Schriftstelle aus dem Matthäusevangelium lautet: "Wenn man euch in der einen Stadt verfolgt, so flieht in eine andere. Amen, ich sage euch: Ihr werdet nicht zu Ende kommen mit den Städten Israels, bis der Menschensohn kommt."

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